Rezension von Jan Oelker

Gedanken zu „Wind in Sicht – Landscape in Transition“
von Jan Oelker

Ulrich Mertens schätze ich als einen der wenigen Kollegen, denen das Thema der Erneuerbaren Energien, und da speziell der Windenergie, mehr als ein Hype oder ein Modethema ist, die als Person für die Ziele der Energiewende stehen und sie zu einem zentralen Thema ihres künstlerischen bzw. journalistischen Schaffens gemacht haben. Mit seinem vorliegenden Bildband „Wind in Sicht – Landscape in Transition“ liefert er ein fotografisches Plädoyer für die ästhetische Seite der Windenergie.

Wie es der Kunst im Allgemeinen eigen ist, wirkt sie umso nachdrücklicher, wenn sie polarisiert. In der Auseinandersetzung mit Ihr spiegeln sich die Haltungen der Betrachter. So unterschiedlich diese ausfallen, so verschieden werden auch die Fotos von Ulrich Mertens beurteilt werden. Konservative Zeitgenossen werden sie ablehnen, zeigen sie doch die Veränderung ihres gewohnten Bildes von Landschaft, das sie bewahrt sehen wollen. Die Progressiven hingegen werden sie bejahen, gerade weil sie eine aus ihrer Sicht notwendige Veränderung präsentieren, die in die Zukunft weist.

Schon im Titel des Buches hat Ulrich Mertens zwei Punkte benannt, welche die Haltung der Menschen zur Windenergienutzung ganz wesentlich beeinflussen und demzufolge polarisieren: „Wind in Sicht“ weist darauf hin, dass Windenergieanlagen sichtbar sind. Und sie sind weithin sichtbar, mittlerweile nicht nur in wenigen Küstenkreisen, sondern überall in Deutschland, in Mittel- und Westeuropa und in weiten Teilen der Welt. Der Einfluss von Windenergieanlagen auf Umwelt und Klima ist zeitlich und örtlich stark eingegrenzt. Das ist ihr entscheidender Vorteil gegenüber den konventionellen Energiewandlungstechnologien. Aber sie verändern in ihrer Summe das Landschaftsbild, die Landschaft ist im Wandel – „Landscape in Transition“.

Kohlekraftwerke sind an die Förderreviere oder Häfen gebunden. Für Kernkraftwerke sind ausreichende Kühlwasservorkommen das entscheidende Kriterium bei der Standortwahl. Sie konzentrieren sich auf wenige Standorte. Windenergieanlagen können hingegen überall errichtet werden, wo der Wind ausreichend stark weht. Auch wenn ihr Einfluss auf das Landschaftsbild reversibel ist und weit weniger zerstörerisch als beispielsweise bei der Kohleförderung – Windparks verändern die Landschaft weitläufiger, zumal Windenergieanlagen sinnvollerweise auf erhöhten Punkten errichtet werden. Sie konfrontieren uns im Hier und Jetzt mit unserem Stromverbrauch, selbst in Gegenden, wo bis vor kurzem der Strom einfach nur „aus der Steckdose“ kam.

In der Diskussion um den Einfluss der Windenergie auf das Landschaftsbild wird dabei oft verdrängt, dass alle ökonomischen Aktivitäten der Menschen seit jeher auch Einfluss auf das Landschaftsbild hatten – umso stärker, je intensiver die Produktion wurde. Unsere gesamte Kulturlandschaft wurde von ökonomischen Aktivitäten geprägt. Ob Industrie, Land- oder Forstwirtschaft, Bergbau, Telekommunikation, Konsum, Verkehr, auch die Freizeit-Industrie, der Tourismus haben Einfluss auf das Landschaftsbild, wie eben auch die erneuerbaren Energien, allen voran die Windkraft.

An diesem Punkt setzt Ulrich Mertens mit seiner Fotografie an. Seine Panoramaaufnahmen zeigen die Landschaft aus der Perspektive der Windenergieanlagen. Dieser erhöhte Blickwinkel offenbart, dass sich Windparks mitnichten in ursprünglichen Naturlandschaften befinden, wie sie in der Malerei der Romantik dargestellt wurden und die schon damals am Beginn der industriellen Revolution mehr einem Ideal als der Wirklichkeit entsprachen. Windenergieanlagen sind ein weiterer Baustein in dem vom menschlichen Tun geprägten Landschaftsbild der Industrieländer. Dieses befindet sich ständig im Wandel. Ulrich Mertens stellt die Windenergieanlagen in Beziehung zu  Autobahnen dar oder zu ICE-Trassen, Industriegebieten, Häfen, weitläufigen Feldern, Tagebau- Folgelandschaften oder auch Marschlandschaften. Letztere wären ohne die Nutzung der Windenergie durch frühere Generationen  für die Menschen überhaupt nicht nutzbar.

In weiteren Bildern weist er auf eine soziale Dimension der Windenergienutzung hin. In seinen Reportagefotos zeigt er Arbeiter in Berufen, die es in dieser Form vor zwei Dekaden noch gar nicht gab. Auch das hat mit Wandel zu tun, mit „Transition“. Bei der Ablösung der nuklearen und fossilen Energien durch die erneuerbaren, entstehen auch neue Arbeitsplätze und neue Berufsbilder.

Windenergieanlagen sind mittlerweile ein fester Bestandteil des Landschaftsbildes in den Industrieländern. Mehr und mehr lösen sie Schornsteine, die die Landschaft im Kohlezeitalter geprägt haben, ab. Die Energiewende findet in der jüngeren Generation weit weniger Widerstand als unter den meist älteren Profiteuren des fossilen und atomaren Energiezeitalters. Für die meisten nach 1990 Geborenen ist eine Landschaft mit Windenergieanlagen bereits selbstverständlich.

Die Akzeptanz der Windenergienutzung wird sich in dem Maße steigern wie die Betroffenheit von den Folgen der fossilen und atomaren Energiewandlung wächst. Künftige Generationen werden nicht mehr die Frage diskutieren, ob Windenergie zu nutzen ist, sondern sich darauf konzentrieren, wie Windenergie genutzt werden soll. Auch ästhetische Fragen der Windenergienutzung können dann eine weit größere Rolle spielen als gegenwärtig. Indem Ulrich Mertens in diesem Buch die ästhetische Seite der Windenergienutzung belichtet, leistet er schon jetzt einen gelungenen Beitrag für diesen Diskurs.

Jan Oelker, Radebeul 12.8.2018

Der Fotograf Jan Oelker bei der Arbeit auf einer NM 92 in Hamburg

Jan Oelker bei der Arbeit auf einer Senvion MN 92 auf dem Energieberg in Hamburg.

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